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50 Jahre Hilfe: Ein Interview mit SOS Détresse

Zuletzt aktualisiert
24.10.25
Nadja Bretz
Nadja Bretz

Manchmal ist das Leben weit entfernt von dem schönen Bild, das von den Medien und sozialen Netzwerken gezeichnet wird. Es ist manchmal unmöglich, Stress, Einsamkeit oder Depressionen alleine zu bewältigen. Glücklicherweise gibt es in Luxemburg Menschen, die zuhören und helfen können.

Helpline in Luxembourg

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Bitte beschreiben Sie kurz die Mission von SOS Détresse und die wichtigsten Dienstleistungen, die Sie anbieten.

Ziel unseres Engagements ist es, Menschen in Not diskrete Hilfe anzubieten über Telefon, Email, oder Chatberatung:

  • Menschen, mit einem Bedürfnis nach Klärung und dem Wunsch nach Austausch, sei es zu einem konkreten, als sensibel empfundenen Thema oder zu ihrer allgemeinen Lebenssituation,
  • Menschen in akuten Lebens-, Partnerschafts-, Familien- und suizidalen Krisen,
  • Menschen, die sich seit längerem in schwierigen Lebenssituationen befinden und unter gesundheitlichen Problemen, psychischen Belastungen, Abhängigkeiten oder Einsamkeit leiden.

Wer kann sich an Sie wenden? Gibt es Einschränkungen hinsichtlich Alter, Staatsangehörigkeit, Sprache oder Einkommen? In welchen Sprachen ist Unterstützung verfügbar? Planen Sie, das Sprachangebot zu erweitern?

Unser Angebot richtet sich an erwachsene Personen ohne weitere Einschränkungen telefonisch in den Sprachen Luxemburgisch, Deutsch, Französisch, Englisch. In der Onlineberatung (Mail und Chatberatung) zusätzlich in Portugiesisch. 

Über welche Kanäle ist Unterstützung erreichbar (Telefon, Chat, E-Mail)? Sind alle Kanäle vertraulich und anonym?

Unser Service wird über Telefon, Chat- und Mailberatung anonym und vertraulich angeboten. Die Anonymität und deren Gewährleistung über alle Kanäle ist in unseren Datenschutzbestimmungen erläutert: https://454545.lu/de/datenschutzerklaerung/

Wie sind die Öffnungszeiten Ihrer Hilfsangebote? Gibt es erweiterte Zeiten für Notfälle?

Telefon: Unsere ehrenamtlichen Mitarbeitenden sind täglich von 11 bis 23 Uhr für Sie da – freitags und samstags bis 3 Uhr morgens in den Sprachen Luxemburgisch, Deutsch, Französisch. Die englischsprachige Linie ist mittwochs, samstags und sonntags von 11 bis 23 Uhr erreichbar.

Mail: Jederzeit erreichbar, Antwort innerhalb drei Tagen 

Chat: Unser Chat-Service ist montags und donnerstags von 17 bis 21 Uhr verfügbar in den Sprachen Luxemburgisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Portugiesisch.

Wie kann man sich auf die erste Kontaktaufnahme vorbereiten, um die effektivste Unterstützung zu erhalten? Auf welche psychischen oder emotionalen Herausforderungen spezialisieren Sie sich (z.B. Depression, Angst, Suizidgedanken, Stress, Isolation)?

Wir haben in dem Sinne keine Spezialisierung, jede Person in einer Krisensituation oder in einer schwierigen Zeit kann sich an uns wenden. Wir bieten einen einfühlsamen Zuhörraum, überzeugt davon, dass manchmal schon ein einziges Gespräch einen echten Unterschied machen kann.

Wird nach dem ersten Kontakt weitere Unterstützung angeboten? Wenn ja, wie ist diese organisiert?

Unsere Unterstützungsangebote – ob per Telefon, E-Mail oder Chat - sind eine einmalige, anonyme Unterstützung, die von geschulten Freiwilligen angeboten wird. Auch ist es möglich, uns so oft zu kontaktieren, wie es die Person benötigt. Indem die Person den Service kontaktiert, geht sie keine langfristige Verpflichtung ein: Sie entscheidet, wann sie anruft oder schreibt und worüber sie sprechen möchte. Dies ersetzt jedoch weder eine Therapie noch eine langfristige Betreuung. 

Welche Schritte empfehlen Sie, wenn ein naher Mensch in einer Krisensituation ist? Kann man auch für andere um Hilfe bitten?

Man kann uns anrufen, schreiben oder chatten, wenn man sich  Sorgen um eine andere Person macht, z. B. weil sie traurig, verzweifelt oder suizidgefährdet wirkt.

Wenn ein naher Mensch in einer Krisensituation ist, empfehlen wir zuerst Ruhe bewahren und zuhören:

  • Geben Sie der betroffenen Person Raum, zu sprechen – ohne sie zu unterbrechen oder zu bewerten.
  • Zeigen Sie Verständnis („Ich sehe, dass es Ihnen gerade sehr schlecht geht“) und signalisieren Sie, dass sie nicht allein ist.

Bitte nehmen sie alle Aussagen ernst: Wenn jemand äußert, nicht mehr leben zu wollen, sollte das immer ernst genommen werden – auch wenn es unklar ist, wie konkret die Absicht ist.

Fragen sie nach und bieten Hilfe an: Scheuen sie sich nicht nachzufrgan, ob die Person konkrete Gedanken an Suizid oder Selbstverletzung hat.

Wenn ja, lassen Sie die Person nach Möglichkeit nicht allein und versuchen Sie, gemeinsam professionelle Hilfe einzuschalten (z. B. Notruf 112, Hausärztin/Hausarzt, psychiatrische Klinik).  Wenn Sie den Eindruck haben, dass akute Lebensgefahr besteht, rufen Sie sofort den Notruf (112).

 Überforderung erkennen und Verantwortung teilen: Sie tragen nicht allein die Verantwortung. Es ist völlig richtig, Hilfe von außen zu holen – auch wenn die betroffene Person das zunächst ablehnt.

Welche verbreiteten Missverständnisse über psychologische Hilfe in Luxemburg gibt es, und wie können diese ausgeräumt werden?

„Wer Hilfe sucht, ist schwach / verrückt“ (Stigmatisierung)

Wie Sie es ausräumen können: Sprechen Sie offen und wertfrei über psychische Gesundheit (Normalisieren!). Betonen Sie: Hilfeholen ist verantwortungsvoll und zeigt Selbstfürsorge — kein Zeichen von Schwäche. Teilen Sie verlässliche Informationen (z. B. Zahlen zur Häufigkeit psychischer Probleme) und namentliche Anlaufstellen.

„Nur ‚krasse‘ Fälle brauchen Psychotherapie / ich muss erst „sehr krank“ sein“

 Psychotherapie und psychosoziale Beratung helfen bei einer breiten Palette von Problemen (Stress, Angst, Trauer, Beziehungskrisen) — nicht nur bei akuten Psychosen oder Suizidalität. Frühes Suchen verbessert oft die Prognose. (Allgemeine Evidenz und Empfehlungen; siehe auch Überblick zu Versorgungsangeboten in Luxemburg). 

Ermutigen Sie betroffene Personen zu einem Erstgespräch — das klärt oft, ob und welche Form der Unterstützung sinnvoll ist.

„Therapie hilft nicht / ist nur Reden“

Für viele psychische Probleme gibt es gut erforschte, wirksame Therapieformen (z. B. kognitive Verhaltenstherapie). Therapie arbeitet mit strukturierten Methoden, Zielen und praktischen Übungen. 

Erklären Sie, dass Therapie oft ein aktiver Prozess mit klaren Zielen ist.

Geben Sie Beispiele für konkrete Übungen (z. B. Stressbewältigung, Problemlöseplanung).

Können Sie eine Schritt-für-Schritt-Anleitung geben: Was tun und an wen wenden, wenn jemand in Not ist?

Beurteilen Sie: Besteht akute Lebensgefahr? Beispiele für akute Gefahr: bewusstlose Person, schwere Verletzungen, ernsthafte Atmungs- oder Kreislaufprobleme, oder wenn jemand unmittelbar sagt, er wolle sich töten.

  • Bei akuter Gefahr: sofort den Notruf 112 wählen 
  • Nennen Sie ruhig: Wer Sie sind (oder sagen, dass Sie anonym bleiben wollen), Was passiert, Wo (genaue Adresse/Ort) und Wie viele Personen betroffen sind. Halten Sie bei Bedarf Ihr Telefon bereit, ggf. für Rückfragen. 

Wenn die Person akut suizidgefährdet ist (konkrete Absichten/Pläne):

  • Bleiben Sie bei der Person, wenn dies sicher möglich ist.
  • Entfernen Sie Gefahren (z. B. scharfe Gegenstände, Medikamente), soweit ohne Risiko machbar.
  • Rufen Sie 112 oder die Polizei 113, wenn unmittelbare Gefahr besteht.

Wenn keine akute Lebensgefahr besteht, aber die Person stark belastet ist:

  • Ruhig bleiben und aktiv zuhören
  • Sagen Sie z. B.: „Ich bin bei Ihnen. Erzählen Sie mir, was gerade los ist.“
  • Vermeiden Sie schnelle Urteile oder Verharmlosungen.
  • Behutsam nach konkreten Suizidgedanken fragen

Direkte, offene Fragen sind wichtig und helfen: „Haben Sie im Moment Gedanken daran, sich etwas anzutun?“ Falls ja: nicht allein lassen und professionelle Hilfe organisieren.

Niedrigschwellige Unterstützung anbieten: Anruf bei SOS Détresse 45 45 45. Wenn die betroffene Person zustimmt, können Sie gemeinsam diese Nummer anrufen oder den Chat nutzen. (Sie dürfen auch für eine andere Person anrufen.)

SOS Détresse at work
SOS Détresse

Wer arbeitet bei SOS Détresse – freiwillige Helfer oder bezahlte Fachkräfte?

Wir arbeiten mit aktuell über 70 ehrenamtlichen Mitarbeitern, sei es telefonisch oder online. Ihre Aufgabe ist es, Betroffenen als empathische und verständnisvolle Gesprächspartner zu begegnen.

Sie bringen vielfältige persönliche und berufliche Lebenserfahrungen mit, kommen aus verschiedenen Ländern und sind zwischen 25 und 80 Jahre alt. Alle engagieren sich ehrenamtlich, nachdem sie speziell auf diese Aufgabe vorbereitet wurden.

Selbstverständlich werden unsere Ehrenamtlichen nicht allein gelassen. Sie sind in ein Team integriert, werden von insgesamt 11 professionellen Mitarbeitern aus psychosozialen Berufen und administrativ unterstützt und nehmen regelmäßig an Weiterbildungen sowie Einzel- und Gruppensupervisionen teil.

Nehmen Sie neue Fachkräfte oder Freiwillige auf?

Einmal pro Jahr werben wir neue Mitarbeiter/innen in den Medien und bieten interessierten Menschen an, sich in unserer Ausbildungsgruppe auf die Arbeit am Telefon oder online vorzubereiten. 

Falls Leserinnen und Leser freiwillig helfen möchten, an wen können sie sich wenden und wie können sie mitmachen?

Wenn die Idee, sich ehrenamtlich zu engagieren, Sie anspricht, kontaktieren Sie uns unter: benevolat@sosdetresse.lu.

Damit unsere Ehrenamtlichen kompetent und zuversichtlich aktiv werden können, legen wir großen Wert auf ihre Ausbildung.

Die Grundausbildung

Jede Person, die unserem Team beitritt, durchläuft eine strukturierte Grundausbildung, die die Grundlage für unser gemeinsames Engagement bildet und darauf abzielt, unsere zukünftigen Mitarbeiter auf die anstehende Arbeit vorzubereiten.

In den Kursen und Gesprächen werden folgende Inhalte behandelt:

  • Tiefgehendes Wissen über sich selbst und andere,
  • Einführung in das psychologische Gespräch,
  • Erlernen von Schlüsselkonzepten der Psychologie zu Themen wie Sucht, Trauer, Einsamkeit usw.

Unser Ansatz basiert auf:

  • Den Prinzipien der personenzentrierten Kommunikation nach Carl Rogers,
  • Den Einstellungen und Modellen der systemischen Therapie,
  • Sowie den neuesten Erkenntnissen aus der psychologischen Forschung.
  • Die Kurse dauern 3 Stunden und finden einmal pro Woche statt (außer während der Schulferien), in der Regel am Abend.

Gibt es Besonderheiten, die Ihre Organisation von anderen Unterstützungsdiensten in Luxemburg unterscheidet?

Unser Service  für erwachsene Personen ist in Luxemburg einzigartig, da niedrigschwellig erreichbar: Es ist nicht nötig, einen Termin zu vereinbaren, irgendwo hinzugehen, um Hilfe zu erhalten, oder sich öffentlich zu zeigen. Zudem ist unser Service absolut vertraulich, anonym und diskret. Auch ist es möglich, uns so oft zu kontaktieren, wie es die Person benötigt. Indem die Person den Service kontaktiert, geht sie keine langfristige Verpflichtung ein: Sie entscheidet, wann sie anruft oder schreibt und worüber sie sprechen möchte. Wir glauben, dass ein einziges Gespräch manchmal wirklich einen Unterschied machen kann. 

SOS Détresse bietet jedoch keine Therapie im Sinne von langfristiger psychologischer Behandlung, keine medizinische oder psychiatrische Intervention. Wir sind Zuhörende, beraten, unterstützen, weisen ggf. weiter.

Welche praktischen Ratschläge würden Sie Menschen geben, die unsicher sind, ob sie Hilfe in Anspruch nehmen sollen?

Nehmen Sie Ihre Gefühle ernst: Wenn Sie merken, dass Angst, Traurigkeit, Erschöpfung oder Überforderung über Wochen anhalten, ist das ein ernstzunehmendes Signal. Sie müssen nicht „extrem krank“ sein, um Hilfe zu suchen. Psychologische Unterstützung ist für viele Belastungen und Lebenskrisen geeignet, nicht nur für akute Erkrankungen.

Sprechen Sie mit vertrauten Personen: Familie, Freunde oder Kolleg:innen können helfen, die eigene Situation einzuschätzen. Allein darüber zu sprechen, kann bereits entlastend wirken und Klarheit schaffen.

Machen Sie einen kleinen, unverbindlichen Schritt: Melden Sie sich einfach einmal bei einer Telefon- oder Online-Beratung wie SOS Détresse: 454545. Sie können anonym bleiben und müssen nichts verpflichtend tun. Oft hilft ein erstes Gespräch, um Klarheit zu gewinnen, ob Sie weitere Hilfe möchten.

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Zuletzt aktualisiert
24.10.25

Autoren: Alex Mort